| Hintergrund: Cisplatin ist ein hochwirksames Chemotherapeutikum, das in der Therapie vieler Malignom- Entitäten wie zum Beispiel Lungen- oder Hodenkrebs eingesetzt wird. Aufgrund des Risikos einer Cisplatin-induzierten Nephrotoxizität (CIN) muss bei jedem Patienten, der eine Chemotherapie mit Cisplatin erhalten soll, vor jedem Zyklus eine Bestimmung der Nierenfunktion (Glomeruläre Filtrationsrate, GFR) erfolgen. Ob zu diesem Zweck eine direkte Messung der GFR durch eine Kreatinin Clearance (CCl) erfolgen soll, oder ob auch eine Schätzung der GFR (eGFR) mittels einer validierten Näherungsformel (z.B. die CKD-EPI Formel) ausreicht, ist derzeit unklar. Da bei der CCl eine 24-Stunden-Harnsammlung nötig ist, ist sie nicht nur für den Patienten und für die betreuende Institution aufwendiger, sondern auch fehleranfälliger, was zusätzliche Tage im Krankenhaus bedeuten kann, da im Falle einer Fehlmessung die 24h-Stunden-Harnsammlung stationär wiederholt werden muss, wodurch es auch zu einer Verzögerung des Therapiebeginns kommen kann. Für die eGFR hingegen ist nur eine Blutabnahme mit einem Serumröhrchen erforderlich, was vergleichsweise schnell geht und günstig ist. Ziel dieser Diplomarbeit war die Konkordanz dieser beiden Parameter vor und während der Therapie mit Cisplatin (± andere Chemotherapeutika) zu untersuchen, und festzustellen, ob ein zukünftiger Verzicht auf die CCl Messung sicher ist.
Methoden: Die CCl und eGFR Messungen von 470 Zyklen von 121 Patienten, welche zwischen 1. Januar 2015 und 4. April 2016 an der Klinischen Abteilung für Onkologie der Medizinischen Universität Graz mit einer Cisplatin-basierten Therapie behandelt wurden, wurden in dieser retrospektiven Studie eingeschlossen. Wie vor Ort üblich wurden vor jedem Zyklus mit Cisplatin die CCl und die eGFR gemessen und Patienten, die eine CCl oder eGFR unter 50ml/min/1.73m² aufwiesen von einer Gabe von Cisplatin ausgeschlossen. Der primäre Endpunkt waren die Zyklen in denen ein/e PatientIN eine CCl von <50 ml/min/1.73m² aber eine eGFR von ≥ 50ml/min/1.73m² aufwies (also ein „falsch negatives“ Resultat in einer Messstrategie, die auf CCl verzichtet).
Ergebnisse: Der primäre Endpunkt trat in 8 von 470 Zyklen mit Cisplatin auf (1.7%, 95%CI: 0.5-2.9, p=0.004). In diesen 8 Fällen (bei 7 verschiedenen PatientInnen) war die durchschnittliche CCl um 65ml/min/1.73m² (95%CI: 50-80) niedriger als die eGFR (Spannweite: 22-101ml/min/1.73m²). Die CCl wurde bei allen PatientInnen wiederholt und zeigte dann bei 5 PatientInnen normale Werte, einmal war das Ergebnis wegen Incompliance bei der Urinsammlung wieder falsch und bei zwei PatientInnen war das Ergebnis knapp unter dem Cut-Off von 50ml/min/1.73m². Bei keinem der Patienten trat in Folge dessen eine Cisplatininduzierte Nephrotoxizität auf. Bei den PatientInnen mit normaler Nierenfunktion waren mehrere Messungen der CCl und eGFR hoch diskrepant, wobei sich in einer qualitativen Analyse zeigte, dass viele PatientInnen bei der 24-Stunden-Urinsammlung incompliant waren oder Probleme damit hatten.
Conclusio: Auf eine Messung der CCl mittels 24-Stunden-Harn kann in Zukunft bei Patienten, die zumindest einen Zyklus Chemotherapie mit Cisplatin erhalten haben, verzichtet werden. |