| Einige Entwicklungsstörungen werden unmittelbar nach der Geburt oder bereits intrauterin erkannt, wohingegen die Diagnose anderer Entwicklungsstörungen für gewöhnlich erst im Kleinkindalter oder sogar später erfolgt. Bei zweiteren entstehen Zweifel an einer unauffälligen Entwicklung, wenn Meilensteine der Entwicklung nicht oder verspätet erreicht werden, Verhaltensauffälligkeiten eine gewisse Schwelle überschreiten und/oder gegebenenfalls physische Besonderheiten evident werden. Defizite im sozio-kommunikativen Bereich zählen zu den Kernsymptomen vieler dieser Entwicklungsstörungen, jedoch ist bisher wenig über die prädiagnostische sozio-kommunikative Entwicklung der Kinder bekannt. Ziel dieser Dissertation war es, den Wissensstand über die frühe sozio-kommunikative Entwicklung von Kindern mit spät erkannten Entwicklungsstörungen zu erweitern. Dazu erfolgte (a) die umfassende Analyse sozio-kommunikativer Fähigkeiten von Kindern mit Rett-Syndrom (RTT), Fragilem-X-Syndrom (FXS) oder Autismus-Spektrum-Störung (ASS), (b) der Vergleich der sozio-kommunikativen Fähigkeiten dieser Kinder mit einer Kontrollgruppe von sich normal entwickelnden Kindern und (c) eine erste Beschreibung möglicher spezifischer Entwicklungsprofile für die einzelnen Störungsbilder. Als Grundlage der Untersuchungen dienten retrospektive Audio-Videoaufnahmen, die die Eltern von Kindern mit RTT (typisches RTT oder Preserved Speech Variante; n = 7), FXS (n = 9), ASS (n = 10) oder typischer Entwicklung (n = 10) aufgenommen hatten, als ihre Kinder zwischen 9 und 24 Monaten alt waren. Die Analyse der sozio-kommunikativen Formen und Funktionen erfolgte mit Hilfe des Inventory of Potential Communicative Acts (IPCA; Sigafoos, Arthur-Kelly und Butterfield, 2006). Bereits gegen Ende des ersten Lebensjahres zeigten sich bei den untersuchten Kindern mit RTT, FXS oder ASS Auffälligkeiten im sozio-kommunikativen Bereich. Bei Kindern mit Entwicklungsstörungen wurden insbesondere limitierte Repertoires an Gesten, (vor-)sprachlichen Vokalisationen und sozio-kommunikativen Funktionen (v.a. das Fragen nach Gegenständen/Handlungen/Informationen) beobachtet. Die sozio-kommunikativen Fähigkeiten der FXS-Gruppe und der Kontrollgruppe nahmen mit dem Alter zu, wobei sie in der FXS-Gruppe über den gesamten Beobachtungszeitraum geringer waren. Die sozio-kommunikativen Fähigkeiten der ASS-Gruppe nahmen zunächst zu, jedoch zeigte sich ab der Mitte des zweiten Lebensjahres eine gewisse Abnahme, was auf eine mögliche Regressionsphase der untersuchten Kinder hindeutet. Die vorliegende Dissertation konnte (a) frühe Auffälligkeiten hinsichtlich der sozio-kommunikativen Entwicklung von Kindern mit RTT, FXS oder ASS beschreiben und (b) erste Hinweise auf spezifische Entwicklungsprofile hinsichtlich der sozio-kommunikativen Fähigkeiten liefern. Die aus dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse könnten einen Beitrag zur früheren Erkennung dieser Entwicklungsstörungen leisten. |