| Problemstellung: Überdiagnose (engl. Overdiagnosis) ist ein neues Konzept in der wissenschaftlichen Diskussion um das Thema medizinischer Diagnostik und Screeningverfahren. In einer eng gefassten Definition steht Überdiagnose für eine richtig gestellte Diagnose, die der betroffenen Person keinen Vorteil bringt. In einer weiter gefassten Definition steht Überdiagnose für übermäßige undifferenzierte Diagnostik und Therapie, die unnötige Kosten und Nebenwirkungen induziert. Gründe für Überdiagnose liegen in der Definition von Grenzwerten und Krankheitskriterien. Wirtschaftliche Interessen der Diagnostik und Therapieanbietenden können den Trend zu Überdiagnose verstärken. Sensitivere Tests lassen pathologische Erscheinungen in so frühen Stadien diagnostizieren, dass unklar ist, ob sie für die Betreffenden jemals klinisch relevant werden. Forensischer Druck und gesellschaftliche Erwartungen drängen zu mehr Diagnostik und Therapie. Es haben sich in den letzten Jahren mehrere Initiativen etabliert, die über Websites , in Fachjournalen und auf Fachkongressen Überdiagnose thematisieren und Maßnahmen zur Vermeidung empfehlen. Überdiagnose wird derzeit vornehmlich im Zusammenhang mit dem Screening von Krebserkrankungen und internistischen Erkrankungen diskutiert. Frage der vorliegenden Arbeit ist es, ob Überdiagnose in der wissenschaftlichen Literatur zur Geburtshilfe thematisiert wird und ob das Konzept auf geburtshilfliche Problemstellungen angewendet werden kann. Methode: Systematische Literaturrecherche in der elektronischen Datenbank Pubmed sowie Recherche geeigneter Literatur durch Vorwärts- und Rückwärtssuche im Schneeballverfahren. Ergebnisse: „Überdiagnose“ wird in der geburtshilflichen Fachliteratur nicht explizit diskutiert. An den Beispielen „Screening auf Gestationsdiabetes“, „Sonographische fetale Gewichtsbestimmung vor der Geburt“ und „Diagnose des Geburtsstillstandes“ kann gezeigt werden, dass Überdiagnose ein relevanter Faktor auch für Screening und Diagnostik in der Geburtshilfe ist. Schlussfolgerung: Zur Vermeidung von Überdiagnose in der Geburtshilfe müssen Grenzwerte und die Definition pathologischer Erscheinungen genau auf Nutzen und potentielle Nachteile untersucht werden. Insbesondere der international zunehmende Anstieg der Kaiserschnitthäufigkeit erscheint partiell durch Überdiagnose bedingt. |