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Bibliografische Informationen
 Häusliche Gewalt in der Steiermark und Kärnten vor und während der COVID-19 Pandemie  
 Einleitung: Vor der COVID-19 Pandemie erlebte jede dritte Frau weltweit im Laufe ihres Lebens physische und/oder sexuelle Gewalt. Expert*innen warnten vor einer Zunahme der Gewalt gegen Frauen während der COVID-19 Pandemie, da dies bereits in vergangenen Krisen beobachtet wurde. In dieser Arbeit wurde untersucht, ob es zu quantitativen Änderungen der häuslichen Gewalt gegen Frauen in der Steiermark und Kärnten kam. Zudem wurde diskutiert, ob und inwieweit pandemiebedingte Umstände qualitative Veränderungen zur Folge hatten und ob dies Auswirkungen auf die statistische Abbildbarkeit der Gewaltprävalenz gehabt haben könnte. Thematisiert wurde auch, inwieweit eine gerichtsverwertbare Verletzungsdokumentation bei noch fehlendem flächendeckendem Opferschutz in Erstkontaktstellen für Gewaltbetroffene in der Steiermark und Kärnten möglich war.

Methoden: Es wurde eine Literaturrecherche zur Einschätzung des aktuellen Forschungsstandes bezüglich der häuslichen Gewalt mit besonderem Augenmerk auf Österreich durchgeführt. Im Anschluss wurden vier (je zwei in der Steiermark und Kärnten) im Durchschnitt 63 Minuten dauernde Interviews mit Expertinnen geführt, manuell transkribiert, codiert und einer qualitativen Datenanalyse nach Mayring unterzogen.

Ergebnisse: Es gab in der Steiermark und Kärnten keinen signifikanten pandemiebedingten Anstieg an Gewaltbetroffenen in Erstkontaktstellen. Jedoch stellten die Expertinnen ein erhöhtes Beratungsbedürfnis fest – die Betreuung der Gewaltbetroffenen gestaltete sich aufwendiger und zeitintensiver.Die Expertinnen nahmen mitunter widersprüchliche qualitative Änderungen wahr: zwei (50%) berichteten von einer Zunahme der Schwere der Gewalt, eine (25%) von einer höheren Frequenz, zwei (50%) empfanden den Grad der Not der Betroffenen als größer. Eine Expertin (25%) beobachtete einen signifikanten Anstieg an Zwangsheirat- und Verschleppungsfällen, eine andere (25%) einen Anstieg an Cybergewalt, den sie jedoch nicht in Zusammenhang mit der Pandemie sah. In der Häufigkeitsverteilung der Gewaltformen stellten die Expertinnen keine Änderungen fest. Der bedeutendste Risikofaktor war die soziale Isolation der Betroffenen, die zu stärkerer Kontrolle durch Gefährder*innen und zu weniger Möglichkeiten führte, sich Hilfe zu suchen – dies hat sich durch Isolationsmaßnahmen während der Pandemie verschärft. Weitere Risikofaktoren waren eine Vorbelastung mit Gewalt der Betroffenen, sozioökonomische Belastungen und eine Migrationsgeschichte. Die Expertinnen zeigten Herausforderungen in ihrer Arbeit während der Pandemie auf, die den Gewaltschutz erschwerten: Kompetenz- und Fachkräftemangel im medizinischen Bereich, Einfluss von Medienberichterstattungen und der Öffentlichkeitswahrnehmung, pandemiebedingte Umstellung der Arbeitsbedingungen und Erreichbarkeit der Einrichtung für Betroffene, Veränderungen im Beratungsbedarf durch Betroffene und die Finanzierung der Einrichtungen. In keiner der Einrichtungen wurden standardmäßige gerichtsverwertbare Verletzungsdokumentationen durchgeführt. Alle Expertinnen (100%) verstanden dies als ärztlichen Aufgabenbereich. Betroffene wurden nach Verletzungen und bereits erfolgter Dokumentation befragt und bei Bedarf an ein Krankenhaus oder an die Polizei weiterverwiesen. Auf Wunsch konnten Verletzungen in allen Einrichtungen fotografisch dokumentiert werden, wobei in zwei Einrichtungen (50%) auf Lichtverhältnisse geachtet und ein Maßstab verwendet wurde. Es gab in keiner Einrichtung interne Leitlinien oder Dokumentationsvorlagen, es wurden auch keine Abstriche, Urin- oder Speichelproben entnommen. In drei Einrichtungen (75%) zielte die Dokumentation auch auf eine Verwendung als Beweismittel vor Gericht ab.

Diskussion: Die Expertinnen zeigten Mechanismen auf, welche die statistische Abbildbarkeit der Gewaltprävalenz beeinflusst haben könnten: verminderte Erreichbarkeit der Institutionen, unsensible mediale Berichterstattung sowie begünstigende Umstände für vermehrte Kontrolle durch Gefährder*innen erschwerte womöglich den Anschluss an den Gewaltschutz und in weiterer Folge die Meldung der Gewalt; insbesondere für bestimmte Risikogruppen, wie Frauen mit Migrationsgeschichte. Pandemiebedingte Umstände könnten zudem bestehende Gewaltsysteme begünstigt haben, beispielsweise durch Verschärfung finanzieller Abhängigkeiten. Die körperliche Begutachtung und gerichtsverwertbare Dokumentation zählen zum ärztlichen Aufgabenbereich, eine routinemäßige fotografische Dokumentation unter standardisierten Bedingungen in Erstkontaktstellen könnte jedoch zu einer flächendeckenden Beweissicherung beitragen, bis Gewaltambulanzen niederschwellig österreichweit erreichbar sind.  
 COVID-19-Pandemie-häusliche-Gewalt  
 
 2025  
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 Gerichtliche Humanmedizin
Autorinnen*Autoren / Co-Autorinnen*Co-Autoren
  Sinemus, Anna Katharina
Betreuende Einrichtung / Studium
  Diagnostik & Forschungsinstitut für Gerichtliche Medizin
 UO 202 Humanmedizin  
Betreuung / Beurteilung
  Kollroser, Manfred; Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.rer.nat.
  Meierhofer , Alexandra Elisabeth; Dr. med. univ.