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Medizinische Universität Graz    

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Bibliografische Informationen
 Retrospektive Auswertung der Gerichtsverfahren bei Verdacht auf schwere Kindesmisshandlung mit und ohne Todesfolge vor Vollendung des 1. Lebensjahres in Österreich  
 Einleitung: Kindesmisshandlung im Säuglingsalter stellt ein gravierendes medizinisches, gesellschaftliches und juristisches Problem dar. Säuglinge sind aufgrund ihres Alters und ihrer völligen Abhängigkeit besonders vulnerabel gegenüber Gewalt und Vernachlässigung. Im Vergleich zu allgemeinen Strafverfahren (bei Erwachsenen ≥14 Jahre) zeigte sich eine signifikant niedrigere Verurteilungsrate bei Säuglingen (35,9% vs. 46,5%, Chi-Quadrat-Test p<0,001). Ziel dieser Arbeit war es, anhand österreichischer Daten des Justizministeriums, das Verhältnis zwischen Anklagen und Verurteilungen bei Misshandlungsfällen mit und ohne Todesfolge im ersten Lebensjahr zu analysieren. Zudem wurden Deliktarten, regionale Verteilung und gerichtliche Erledigungsformen untersucht und mit Daten erwachsener Opfer verglichen, um Muster und mögliche Schwachstellen in der Aufarbeitung solcher Fälle aufzuzeigen.

Methoden: Für die retrospektive Analyse wurden vom Bundesministerium für Justiz bereitgestellte anonymisierte Datensätze zu gerichtlichen Verfahren im Zusammenhang mit Kindesmisshandlung in Österreich ausgewertet. Eingeschlossen wurden alle zwischen 2005 und Juli 2025 bei der Staatsanwaltschaft eingelangten Fälle mit Opferalter unter zwölf Monaten. Für die Auswertung der Verfahrensausgänge standen Daten bis einschließlich 2024 zur Verfügung. Die Auswertung erfolgte deskriptiv-statistisch mit SPSS. Erfasst wurden Häufigkeiten der Deliktarten, regionalen Verteilung und gerichtlichen Erledigungen. Das Verhältnis von Anklagen und Verurteilungen wurde mittels Chi-Quadrat- und Binomialtest (p<0,05) überprüft. Vergleichsdaten für Jugendliche und Erwachsene (≥14 Jahre) dienten der Einordung der Verurteilungsraten.

Ergebnisse: Im Beobachtungszeitraum wurden 1034 Delikte an 808 Säuglingen dokumentiert, was zeigt, dass ein Teil der Kinder mehrfach von Gewalthandlungen betroffen war. Den größten Anteil stellten Körperverletzungsdelikte nach § 83 StGB (56,1%), gefolgt von schwerer Körperverletzung nach § 84 StGB (13,2%) und § 92 StGB Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen (19,0%) dar. Schwere Delikte wie Mord (§ 75 StGB) oder sexuelle Übergriffe (§ 206, §207 StGB) traten deutlich seltener auf.

Insgesamt wurden 403 Anklagen erhoben, von denen 134 in einer Verurteilung endeten (33,3%). Ein Binomialtest zeigte, dass dieser Anteil signifikant unter dem erwarteten Wert von 50% lag (p<0,001). Damit führten weniger als die Hälfte der gerichtlichen Anklagen zu einer strafrechtlichen Verurteilung. Trotz erkennbarer Unterschiede in den absoluten Zahlen zeigte die Analyse keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Deliktart (mit oder ohne Todesfolge) und Verfahrensausgang. Die Schwere des Delikts zeigt keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung (χ²(1)=0,000, p=0,992).

In der Gesamtverteilung der Verfahrenserledigungen (n=1274) dominierten Einstellungen mit 52,7% (n=672), gefolgt von sonstigen Erledigungen 11,5% (n=147) und Verurteilungen 11,4% (n=145). Die zeitliche Analyse zeigte deutliche Schwankungen der Deliktzahlen. Während in den Jahren vor 2011 nur wenige Fälle dokumentiert wurden, vermutlich infolge einer unvollständigen Erfassung, stieg die Zahl der registrierten Delikte ab 2011 deutlich an und erreichte 2017 einen Höchststand. Ob dieser Anstieg auf eine tatsächliche Häufung oder auf verbesserte Erfassungsmechanismen zurückzuführen ist, bleibt unklar. Es weist jedoch auf ein über viele Jahre hinweg kontinuierlich zunehmendes Problem hin. Die geografische Auswertung zeigte, dass Wien mit 30,1% (n=311) und 41,8 Delikten pro 100.000 Einwohner die höchste Deliktbelastung aufwies. Überdurchschnittliche Quoten fanden sich auch in Vorarlberg, Kärnten und Tirol, während die niedrigsten Werte im Burgenlang und in Niederösterreich beobachtet wurden.

Schlussfolgerung: Die Ergebnisse unterstreichen, dass Misshandlungen im ersten Lebensjahr in Österreich ein anhaltend relevantes Problem darstellen. Die niedrige Verurteilungsquote trotz erhobener Anklagen zeigt die hohen Anforderungen an die Beweisführung und die Schwierigkeit, Misshandlungsfälle bei Säuglingen juristisch eindeutig nachzuweisen. Die Diskrepanz zwischen Delikt- und Opferzahlen weist zudem auf wiederholte Gewalthandlungen gegenüber einzelnen Kindern hin und unterstreicht den Bedarf an frühen Interventionsstrategien. Dies verdeutlicht zugleich die besonderen Schwierigkeiten der Beweisführung in Fällen nicht aussagefähiger Opfer und stellt die Art der derzeitigen Prozessführung (insbesondere des Geschworenenprozess) in Frage.  
 Kindesmisshandlung; Forensische Medizin; Gerichtliche Verfahren; Vernachlässigung, Kinderschutzgruppen, Nicht-akzidentelle Verletzungen  
 
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Autorinnen*Autoren / Co-Autorinnen*Co-Autoren
  Krinner, Laura
Betreuende Einrichtung / Studium
  Universitätsklinik für Kinder- und Jugendchirurgie
 UO 202 Humanmedizin  
Betreuung / Beurteilung
  Arneitz, Christoph; Univ. FA Priv.-Doz. Dr.med.univ.
  Schalamon, Johannes; Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr.med.univ.